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12 LESERMOTIVATION SEPTEMBER /OKTOBER 2013 Den Leser bannen – Was Nachrichtenmedien von Museen lernen können In einer Welt, in der Inhalte von allen Seiten anfl uten, in der immer neue Technologien Einzug halten und in der es nur an einem fehlt – an der Aufmerksamkeit der dauerbeschäftigten Generation Y – gilt es für Nachrichtenmedien mehr denn je, die Leser in ihren Bann zu schlagen. Kerry Northrup wird das Projekt beim Newsroom Summit 2013 präsentieren. Studien zufolge geht es nicht länger darum, Millionen von Website-Besuchern oder Tausende von Social-Media- Fans zu gewinnen. Denn bekanntermaßen befassen sich die Leser meist nur wenige Sekunden mit einer Nachricht und lassen sich dabei nicht wirklich auf die Inhalte und das inhaltliche Erlebnis ein Genau dieses Erlebnis macht jedoch den Unterschied aus. Wenn überall mehr oder weniger die gleichen Nachrichten und Informationen zu finden sind, so ist es die Ansprache des Lesers und das Lese-Erlebnis, was wirklich in Erinnerung bleibt. Fachleute für die erlebnisorientierte Aufbereitung von Inhalten können der Nachrichtenbranche wertvolle Anregungen liefern, wie wir unser Publikum stärker in den Bann ziehen. Nehmen wir uns ein Beispiel an Museen. Museen und Nachrichtenmedien haben durchaus Gemeinsamkeiten: sie vermitteln Inhalte und haben ein Publikum. Und beide wollen eine Beziehung zwischen Inhalten und Publikum herstellen und damit Geld verdienen. Allerdings haben Museen ein ganz anderes Verhältnis zu ihrem Publikum. Sie betrachten die Besucher als Kunden, denen sie für ihre Zeit, ihr Geld und ihre Aufmerksamkeit etwas bieten möchten, nämlich ein Kultur-, Wissens- und Informationserlebnis. Kommerzielle Nachrichtenmedien hingegen betrachten ihre Leser weniger als Kunden denn als Ware, die man aufbereitet und der werbetreibenden Wirtschaft serviert. So weit zur geschäft lichen Seite. In journalistischer Hinsicht sind wir wie die Museen dem Wissens-, Kultur- und Informationsnutzen unserer Inhalte verpflichtet. Doch den meisten Journalisten alter Schule geht die Story über alles – auch über die Wahrnehmung durch das Publikum. So haben wir‘s gelernt. Auch Museen legen großen Wert auf die Seriosität ihrer Inhalte, stellen sich aber auch die Frage, wie sie ihrem Publikum ein ansprechendes Erlebnis und eine aktive Beschäftigung mit ihren Inhalten bieten können. Nach einer jährlichen Erhebung durch die Fachzeitung The Art Newspaper ist die Zahl der Museumsbesucher in den letzten vier oder fünf Jahren kontinuierlich gestiegen, während die Zahl der Zeitungsleser im gleichen Zeitraum stetig gesunken ist. Wie wäre es also, wenn man eine Story wie ein Exponat behandeln und den Lesern ein physisches Erlebnis und passend aufbereitete Informationen bieten würde, die sie erkunden können? Das Ziel ist, sie viel stärker zu fesseln als mit einer herkömmlichen Story. Wie genau würde das funktionieren? Das sollte mit dem acht Monate dauernden Nachrichtenprojekt „Inside Confucius” (2012-2013) erprobt werden. Untersucht wurde der pädagogische, finanzielle und politische Einfluss des von China geförderten Konfuzius Instituts, das Tausende chinesischer Lehrer an Schulen und Universitäten in aller Welt entsendet. Die Präsentation der Story war multimedial konzipiert und umfasste künstlerisch inspirierte Infografik-Poster, Augmented- Reality-Videos und andere attraktive Storytelling-Formen. „Inside Confucius” wurde als interaktive Ausstellung realisiert, bei der die Erkenntnisse aus dem Museumsdesign konkret umgesetzt wurden – mit besuchergerechter Anordnung und Beleuchtung, mehrstufig differenzierten Texttafeln, abgestimmter Hintergrundliteratur sowie taktiler Interaktion. (Mehr dazu auf der Website wkujournalism.com/insideconfucius.) Das Projekt war hinsichtlich der Komplexität und des Arbeitsaufwands mit einer redaktionellen Großreportage vergleichbar. Beteiligt waren Dutzende von Mitarbeitern mit breit gefächerten Kompetenzen, die meisten davon Multimedia-Journalisten von Western iMedia, einem Ableger der Fakultät für Journalismus und Rundfunkwesen an der Western Kentucky University. Von Erlebnisgestaltern abgeschaut Bei ihrer Arbeit orientierten sie sich an fünf bewährten Regeln, um Nachrichteninhalte attraktiver aufzubereiten: W Planen Sie das Erlebnis, nicht nur die Story – Im Manual of Museum Exhibitions betrifft die erste Phase des Gestaltungsprozesses die Erstellung eines Informationskonzepts, bei dem das „angestrebte Besucher-Erlebnis“ ebenso berücksichtigt wird wie die eigentlichen Inhalte. In einem Nachrichtenunternehmen ließe sich dies damit vergleichen, das „Engagement“, also die Gewinnung und Aufrechterhaltung der Leseraufmerksamkeit, bereits in die Storyplanung einzubeziehen. W Legen Sie die Zuständigkeit in die Hände eines Storytellers – Auch Museen sammeln nicht Kunst, um die Schaffung eines Besucher-Erlebnisses dann ihrer ITAbteilung zu überlassen. Ebenso sollten Nachrichtenunternehmen die Zuständigkeit für die Leseransprache nicht der Online-Redaktion überlassen. Technologie und Content müssen zusammenwirken, um dem Leser ein überzeugendes Erlebnis zu bieten. Zum journalistischen Gesamterlebnis kommt es auf die richtige Mischung aus einem vielfältigen Angebot aus Text, Bildern, Diagrammen, Sound, Slideshows, interaktiven Grafiken, Datenbanken und Videos an. W Lassen Sie Raum für Eigeninitiative – In einer Ausstellung entscheiden die Besucher selbst, wohin sie gehen und was sie sich anschauen. Die eigene Entscheidung wird so Teil des Erlebnisses und mit jeder getroffenen Entscheidung lässt sich der Besucher stärker auf die Erfahrung ein. „Ausstellungsgestaltung beginnt mit dem Exponat und endet mit dem Besucher”, betont Michael Brechner, Gestalterischer Leiter am Frist Center for Visual Arts in Nashville, Tennessee. Ähnlich wie ein Exponat sollte darum auch ein Nachrichtenangebot nicht-linear gestaltet sein und vielfältige Einstiegspunkte bieten. W Setzen Sie auf eine gestaffelte Aufbereitung der Inhalte statt auf die umgekehrte Pyramide: – Orientieren Sie sich am Aufbau der Texttafeln in einer Ausstellung. Sie bestehen aus ein bis zwei Zeilen mit dem Titel des Exponats, gefolgt von einer kurzen allgemeinen Erklärung und einem längeren fachlichen Abschnitt. In seinem Aufsatz „Lessons Learned from Museum Exhibit Design” geht Saul Carliner auf Web-Design und www.worldnewspublishingfocus.org Das Museumsprojekt „Inside Confucius“ der Western Kentucky University hat viel Ähnlichkeit mit einem Magazin. Dies ist die Hauptseite am Eingang, ähnlich dem Deckblatt am Anfang eines Artikels. Die folgenden in Design und Inhalt verknüpften Informationstafeln entsprechen den Innenseiten, die sich auf Einzelaspekte der Story konzentrieren. McKenzi Loid, Gesellschaftsjournalistin bei Western iMedia, testet bei der Premiere des Projekts im Mai im Kentucky Museum die Augmented-Reality-Inhalte auf einer der Informationstafeln. Das „Inside Confucius“-Projekt wird im Jahresverlauf noch in Honolulu, Berlin und Beijing zu sehen sein.


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