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Big Data, ein großes Thema für Zeitungen Stampen nimmt Kurs auf die Zukunft (Fortsetzung von Seite 16) für unsere Branche besteht meiner Ansicht nach darin, dass jeder seinen eigenen Kurs einschlägt. Doch der Weg in die Zukunft lässt sich nur gemeinsam meistern – und genau hier sollte WAN-IFRA die Führung übernehmen. Tomas Brunegård privat Warum liegen Ihnen Pressefreiheit und Medienentwicklung so am Herzen? Als Schwede lebe ich in einem der freiesten Länder der Erde. Pressefreiheit gibt es hier seit 1766. Jeder sollte meinen, dass die Pressefreiheit bei uns unantastbar ist. Doch meine Jahre in der Branche und vor allem im schwedischen Zeitungsverband haben mich gelehrt, dass es immer mehr Gängelei gibt, sowohl von staatlicher Seite als auch von der EU. Das zeigt, dass wir die Freiheiten, die wir heute genießen und die wir unseren Kindern weitergeben möchten, nicht für selbstverständlich halten dürfen. Wir müssen daher mit aller Kraft unseren Teil zur Sicherung einer wirklich freien, offenen und kreativen Gesellschaft von morgen beitragen. Für mich persönlich ist das einer der entscheidenden Punkte, warum ich mich nicht nur in Schweden, sondern international engagiere. Wie ich höre, sind Sie auch Pilot? Wie ist es dazu gekommen? Als Lehman Brothers 2008 zusammenbrach, hatten wir gerade 31 Gratiszeitungen in Stockholm übernommen. Nachdem ich als Geschäftsführer schon das Platzen der Dot-Com-Blase erlebt hatte, wusste ich, wie verheerend eine solch tiefgreifende Krise sein kann – und wie stark man persönlich davon mitgenommen wird. Darum beschloss ich, etwas ganz Neues zu tun – und zwar einen Pilotenschein zu machen, was ich schon lange vor hatte. Mein Bruder arbeitete früher als Arzt in Afrika und flog damals mit unterschiedlichen Maschinen, mit denen ich mich auch vertraut machte. So nahm ich 2008 und 2009 Flugstunden und erwarb meine Privatlizenz. Für mich war das etwas völlig Neues, aber sehr, sehr spannend. Daher wollte ich unbedingt am Ball bleiben und mich als Pilot weiterbilden. Als nächstes will ich den Berufspilotenschein machen – nicht um Verkehrsmaschinen zu fliegen, sondern um vielleicht eines Tages für eine Hilfsorganisation Einsätze etwa in Afrika oder Südostasien zu fliegen. Doch das ist noch ein Traum. Das klingt so, als gäbe es so etwas wie einen großen Plan. Sind Sie in einem Alter, in dem eine Neuorientierung ansteht? Ja, so ist es. Es ist zwar ein Klischee, aber nicht falsch: Das Leben ist kurz. … Ich könnte stundenlang darüber reden. Die neue Richtung, die ich seit meinem 50. Geburtstag eingeschlagen habe, bedeutet, dass ich der Medienbranche zwar erhalten bleibe, aber auch anderen Lebensbereichen mehr Zeit widmen kann. Das kommt nicht nur meiner Familie zugute, sondern auch der Gesellschaft – sei es durch mein soziales Engagement in Göteborg, meine Ziele als Pilot oder meine Mitarbeit an kirchlichen Projekten. Denn ich denke, es ist an der Zeit, anderen etwas zurückzugeben. 38 www.worldnewspublishingfocus.org Meinung September /oktober 2013 Der Kauf der Washington Post durch Jeff Bezos hat in der Medienbranche für reichlich Gesprächsstoff gesorgt. Auch für den Professor für Big Data an der University of Notre Dame sowie Big-Data-Entrepreneur bei Aunalytics ist dies ein spannendes Thema. Wie wird sich die Übernahme auswirken? Meiner Einschätzung nach wird es künftig eine Personalisierung bei Inhalten und Werbung geben, die Nutzer werden bei der Informationssuche passende Inhalte serviert bekommen und zum geeigneten Zeitpunkt passende Empfehlungen mit dem Hinweis erhalten, dass auch „andere Kunden“ bestimmte Inhalte gelesen oder auf eine Werbebotschaft reagiert haben. Auch den Werbetreibenden werden zielgruppengenau abgestimmte Inhalte und Botschaften einen höheren Mehrwert bieten, und mit besserer Kundenkenntnis werden sich vielfältige neue Einnahmequellen erschließen lassen. Die Übernahme ist ein Indiz dafür, dass der digitale Wandel der Zeitungsbranche mit Big Data eine neue Dimension erreicht. Der digitale Auftritt einer Zeitung bietet ideale Voraussetzungen für die große Datensammlung. Die Stichworte dabei lauten Vielfalt, Schnelligkeit, Masse und Verlässlichkeit. In kürzester Zeit fallen hier enorme Datenmengen an, wenn auch oft in unstrukturierter und ungefilterter Form. Darunter finden sich Daten zu Content- Nutzung, Nutzern, Werbung und Werberesonanz, Daten zu Werbetreibenden, Kampagnen sowie Website- und App-Nutzung und schließlich Daten aus sozialen Netzwerken und Social Media. Nachdem die Digitaltechnik die traditionelle Bereitstellung und den Konsum von Inhalten von Grund auf verändert hat, führt Big Data zu einer engeren Abstimmung von Nutzern und Inhalten. So lassen sich mehr Anreize für eine intensivere Nutzung setzen, was wiederum die Entwicklung neuer Erlösmodelle fördert. Zeitungen können sich diesen Trend zunutze machen, indem sie Big Data strategisch einsetzen, um ihr Geschäft auszubauen und die Kunden aktiver einzubinden. Es geht darum, passende Inhalte zum richtigen Zeitpunkt an den richtigen Nutzer zu bringen, um ihm so ein individuelles Nutzer-Erlebnis zu verschaffen. Die Übernahme der Washington Post durch Jeff Bezos dürfte genau darauf hinauslaufen. Denn mit Amazon hat er schon dem Handel ein neues Gesicht gegeben, weg vom Kaufhaus hin zum Internethandel, bei dem die Klicks der Konsumenten zählen – und man zugleich vom Verhalten der Kunden lernt. Als Konsumenten sind wir es inzwischen gewohnt, anhand der Daten zu unserem eigenen und dem Kaufverhalten anderer Kunden Empfehlungen präsentiert zu bekommen – etwa für Bücher, Kleidung, Filme oder Restaurants. Diese Empfehlungen werden von selbstlernenden Algorithmen erzeugt, die unsere Daten auswerten. So ermitteln sie Teilmengen von Kunden, die sich hinsichtlich ihres Nutzungs- oder Kaufverhaltens ähneln, da sie beispielsweise die gleichen Bücher gekauft oder die gleichen Filme angesehen haben. Auch die Zeitungsbranche sollte sich auf ein kundenorientiertes Modell einlassen. Die Kunden sind dabei die Nutzer, die in irgendeiner Form mit dem digitalen Angebot der Zeitung, sei es auf der Website oder per App, interagieren. Das Produkt sind die Inhalte, und die produktbezogenen Daten umfassen alles, was das Nutzer- Erlebnis, die Interaktion und Nutzung der Inhalte betrifft. Die Washington Post dürfte schon bald mit einem neuen Nutzer-Erlebnis auf der Basis von Big Data aufwarten. Diese grundlegende Transformation bildet den Auftakt zu einer durch und durch kundenorientierten Neuausrichtung infolge des digitalen Wandels und der Big-Data-Revolution. Auch alle anderen Zeitungen müssen sich fragen, ob sie die kurze Zeitspanne, in der digitaler Wandel und Big Data konvergieren, nicht nutzen und sich der Entwicklung anschließen sollten – aufhalten lässt sie sich nicht. Dr. Nitesh Chawla ist Professor für Informatik und Computertechnik an der University of Notre Dame und Gründer des Big-Data- Unternehmens Aunalytics, Inc. Von Nitesh Chawla


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