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10 London Times mit Radfahr-Kampagne auf Erfolgsspur SOZIAL. LOKAL. MOBIL SEPTEMBER /OKTOBER 2013 Community-Redakteur Ben Whitelaw und Social- Media- und Kampagnen- Redakteur Nick Petrie (beide London Times) beziehen ihre Leser über Kommentarfunktionen, Social Media und Aktionen aktiv in den Prozess der Nachrichtenerstellung ein. Im Folgenden berichten wir über die von ihnen 2012 ins Leben gerufene, preisgekrönte Digitalkampagne „Cities Fit for Cycling“ für mehr Sicherheit im Fahrradverkehr. Auslöser der Kampagne war ein tragischer Unfall, bei dem ihre Kollegin, die Reporterin Mary Bower, in der Nähe der Times-Redaktion von einem LKW angefahren und schwer verletzt wurde. Die Kampagne erwies sich als großer Erfolg – mit Auswirkungen auf die Politik, konkreten Verbesserungen im Londoner Stadtgebiet und im ganzen Land und einer bis dato nie dagewesenen Einbindung und Aktivierung der Leser. Und dies dank Open-Source-Tools und Social Media – ohne hohen Kostenaufwand. Hier eine gekürzte Fassung ihres Vortrags, den sie bei „Zeitung Digital“, der gemeinsamen Konferenz von BDZV und WAN-IFRA, im Juni in Frankfurt präsentierten. Wie viel würden Sie investieren, um die Politik zu Veränderungen zu bewegen? Wie viel würden Sie investieren, um eine Debatte im Bundestag anzustoßen und die Unterstützung der Kanzlerin zu gewinnen? Wie viel würden Sie investieren, um fast zehn Prozent Ihrer täglichen Leser zu einer aktiven Mitwirkung an einem relevanten Thema zu motivieren? Man könnte meinen, derartige Ziele seien nur mit hohem Kostenaufwand zu erreichen bzw. selbst mit unbegrenzten Ressourcen nicht zu realisieren. Der Times jedoch ist dies mit nur einem kleinen Team gelungen – und ohne Kosten, außer für den zeitlichen Aufwand. Dank kostenloser Online-Tools konnten wir konkrete Veränderungen bewirken und die Regierung zu der Zusage bewegen, in den nächsten zehn Jahren 1 Mrd. Pfund in die Verbesserung des Fahrradverkehrs zu investieren. Eine „offene“ Kampagne Bei der Times und der Sunday Times praktizieren wir ein Abomodell, denn die Qualität unserer journalistischen Inhalte ist ihren Preis wert, sowohl im Print- als auch im Digitalbereich. Die Kampagne „Cities Fit for Cycling“ öffneten wir jedoch auch für Nichtabonnenten, da das Thema nicht nur für unsere Leser relevant ist, sondern eine möglichst breite Basis erreichen sollte. Recherche- und Aktionskampagnen haben bei der Times eine lange Tradition, doch erstmals wurde hier eine Kampagne realisiert, bei der ausgezeichneter Printjournalismus ergänzt wurde durch digitale Elemente. Wir wollten die Leser aktiv in unsere Bemühungen um eine Verbesserung der Verkehrs- und Lebensqualität einbinden. In jeder Etappe der Kampagne riefen wir sie daher zu Rückmeldungen und eigenen Beiträgen auf und ließen sie aktiv mitwirken. Damit war dies weit mehr als eine normale Zeitungskampagne, es war eine Medienkampagne für das 21. Jahrhundert. Manifest Wie unsere Recherchen ergaben, bot sich das Thema für eine umfassende Kampagne an. Wir verfassten daher ein Manifest mit Zielen, die wir innerhalb mehrerer Jahre erreichen wollten. Zur Umsetzung dieser Ziele waren drei Dinge relevant: W Aufbau einer breiten Basis von Unterstützern W Publikmachung der Kampagne innerhalb kurzer Zeit W Gewinnung von Politikern, die über den Einsatz der nötigen Gelder entscheiden Die Kampagne startete im Februar 2012 sowohl in Print als auch online. In der gedruckten Zeitung verfolgten wir dabei ein klassisches Titelstory-Konzept und ließen führende Vertreter aus Sport, Wirtschaft und Politik zu Wort kommen. Online praktizierten wir jedoch einen völlig neuen Ansatz, den es bei der Times oder anderen Zeitungen so noch nicht gegeben hatte, denn wir setzten gezielt auf eine Partnerschaft mit unseren Lesern: Wir konzipierten eine einfache Kampagnen-Seite, die über unsere Website und unsere Tablet-App abrufbar war und unseren Lesern drei einfache Aktionen ermöglichte, die uns bei der Verwirklichung unser Kampagnenziele helfen sollten. Kennzeichnendes Merkmal all dieser Aktionen war ein gewisses Social-Media-Element. Erstens baten wir die Leser, ihre Unterstützung für die Kampagne durch Angabe ihrer E-Mail-Adresse zu bekunden – ähnlich wie bei der Unterzeichnung einer Petition. Sie konnten auch ein Häkchen setzen, wenn sie Mail-Updates zum Fortschritt der Kampagne erhalten wollten. Die Personen in unserer E-Mail-Datenbank wurden seit Kampagnenstart etwa alle zwei Monate kontaktiert. Dabei baten wir sie jedes Mal um einen konkreten Beitrag zur Realisierung unserer Ziele. Es ging uns nie allein um ein bloßes Informieren der Unterstützer oder um das Generieren von Traffic für unsere Website. Da wir die Empfänger nicht mit Infos überfluteten, verzeichneten wir bei unseren E-Mails eine sehr gute Öffnungsrate von fast 50 %. Zweitens forderten wir die Leser auf, einen Button anzuklicken, um ihre Unterstützung für die Kampagne per Tweet (mit einem Backlink auf die Kampagnenseite) kundzutun. Drittens riefen wir die Leser dazu auf, eine entsprechende Mail an ihren Parlamentsabgeordneten zu schreiben, denn wir wussten, wie wichtig der Druck von Bürgerseite ist. Vor dem Start der Kampagne kontaktierten wir Radfahrer-Blogs sowie Twitterer mit großer Anhängerschar, die selbst Radfahrer sind und bei denen wir von einem entsprechenden Interesse an unserer Kampagne ausgehen konnten. www.worldnewspublishingfocus.org Die London Times erreichte mit ihrer Kampagne für mehr Sicherheit im Fahrradverkehr ein breites Publikum und initiierte weitreichende politische Maßnahmen - ohne weitere Kosten für die Zeitung, außer für den zeitlichen Aufwand. In jeder Etappe wurden die Leser zu Rückmeldungen und eigenen Beiträgen aufgerufen und so aktiv eingebunden. Damit war dies weit mehr als eine normale Zeitungskampagne, es war eine Medienkampagne für das 21. Jahrhundert.


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