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8 AUS DER REDAKTION NOVEMBER /DEZEMBER 2013 Globo.com verabschiedet sich aus Zahlreiche Zeitungsverlage sind heutzutage auf Facebook präsent – die einen sind mehr, die anderen weniger aktiv, aber vertreten sind sie fast alle. Mit einer Ausnahme: Globo.com. Lateinamerikas größtes Medienunternehmen stellte Ende letzten Jahres seine Facebook- Präsenz auf den Prüfstand und zog schließlich die Reißleine. „Eine Facebook-Präsenz kann man nicht nebenbei betreiben, denn Facebook entwickelt sich zu einer neuartigen Werbemaschine“, erklärte Mariana Correa Esteves, Leiterin für Produktentwicklung bei Globo.com, in ihrem Vortrag beim 12. International Newsroom Summit in Berlin. Globo.com, so erläuterten Correa Esteves und ihr Kollege Leandro Gejfinbein, Leiter für Marktforschung und Analyse, habe Ende 2012 untersucht, welchen betrieblichen Aufwand die Facebook-Präsenz verursacht. Aufgrund dieser Studie habe man dann den Rückzug aus der Social-Media-Plattform beschlossen. Der Schritt ähnelt der Einstellung der Social-Reader- App des Guardian im Dezember 2012. Wie der Guardian ermöglicht aber auch Globo.com seinen Lesern weiterhin, Inhalte mittels Facebook-Buttons neben einzelnen Artikeln auf seiner Website an Freunde weiterzuleiten oder weiterzuempfehlen. Globo.com wurde im Jahr 2000 gegründet und ist Dach des brasilianischen Medienkonzerns Organizações Globo. Der Geschäftsbereich Globo.com betreut sämtliche Online-Präsenzen der Zeitungen, Zeitschriften, Fernseh- und Radiosender des Mutterkonzerns. „Wir entwickeln digitale Produkte, Plattformen und die generelle Web-Strategie für den Konzern“, so Correa Esteves. Monatlich verzeichnet Globo.com durchschnittlich 50 Mio. Besucher, 4 Mrd. Seitenabrufe und 400 Mio. betrachtete Videos. Bis vor einigen Monaten setzte das Unternehmen bei seiner Social-Media-Strategie stark auf Facebook – zum einen auf die gängigen Verbreitungsmöglichkeiten wie Apps, Social Reader und „Teilen“- oder „Gefällt mir“- Buttons und zum anderen auf die redaktionelle Bereitstellung von Inhalten auf einer eigenen Facebook-Seite. Wie fast überall verzeichnet Facebook auch in Brasilien ein enormes Wachstum, sodass weltweit inzwischen mehr als eine Milliarde Nutzer in Facebook registriert sind. Im Jahr 2012 betrug der Konzernumsatz 5 Mrd. US-$ und lag damit 34 Prozent über dem Vorjahreswert. In nur zwei Jahren, so Correa Esteves, sei die Zahl der Facebook-Nutzer in Brasilien um 250 Prozent gestiegen. Warum dann also der Rückzug aus Facebook? Die rasant zunehmende Popularität von Facebook verändert laut Correa Esteves auch „die Art, wie die Menschen im Internet auf Inhalte zugreifen“. Entscheidend dabei sei die populäre Newsfeed-Funktion von Facebook, erläutert Gejfinbein. Sie liefere den Nutzern einen kontinuierlichen Informationsstrom, der dem heutigen Trend zum oberflächlichen „scannenden Lesen“ entgegenkommt.„Der Facebook Newsfeed macht die Nutzer glauben, dass sie hier alle Nachrichten finden. Die Folge ist, dass sich die Leute ihre News immer öfter auf Facebook holen anstatt auf Medien-Websites“, so Gejfinbein. Allerdings trifft Face book mit leistungsstarken Algorithmen eine Vorauswahl dessen, was die Nutzer zu sehen bekommen, sodass verschiedenen Nutzern unterschiedliche Inhalte zu ein und demselben Thema angezeigt werden können, so Correa Esteves weiter. Bis vor Kurzem speiste Facebook seinen Newsfeed mithilfe des sogenannten EdgeRank-Algorithmus, der mittlerweile jedoch durch einen neueren Algorithmus abgelöst wurde. Der Nachfolger berücksichtigt nun bis zu 100 000 Faktoren, die darüber entscheiden, welche Newsfeed-Informationen dem Nutzer auf Facebook präsentiert werden. „Wenn der Traffic auf Ihrer Website hauptsächlich aus dem Facebook Newsfeed heraus generiert wird, sind Sie den Kriterien von Facebook auf Gedeih und Verderb ausgeliefert“, so Gejfinbein. Facebook als Medium Mittlerweile hat Facebook die Kontrolle über zwei der drei Hauptaufgaben der traditionellen Medien übernommen: Die Auswahl und Aufbereitung von Inhalten sowie deren Verbreitung. Übrig bleibt allein die Produktion, also die kosten- und zeitintensive Erstellung von Inhalten. Es gibt eine redaktionelle Steuerung durch den Newsfeed, wobei sich die Spielregeln häufig ändern und keiner die Kriterien im Einzelnen kennt. Nachvollziehbar ist die Steuerung also nicht. Ende Oktober veröffentlichte das US-Meinungsforschungsinstitut Pew Research Center zusammen mit der John S. and James L. Knight Foundation die vielsagenden Ergebnisse einer Online-Umfrage unter 5173 Erwachsenen. Danach werden Nachrichten auf Facebook von den meisten Nutzern eher zufällig gelesen und sind in den seltensten Fällen der eigentliche Grund für die Facebook- Nutzung. In einem Kommentar zu den Resultaten der Studie schreibt der Branchenexperte Mathew Ingram auf der PaidContent-Website: „Nachrichten auf Facebook werden also nicht gezielt gesucht, sondern zufällig gefunden – und das erschwert die Aufgabe der Nachrichtenanbieter. Eine Facebook-Seite oder eine Social-Reader-App zu haben, reicht nicht, auch wenn sie so aufwändig entwickelt wurde wie die des Guardian oder der Washington Post. Vielmehr müsssen die Nachrichteninhalte so gestaltet und präsentiert werden, dass sie möglichst leicht weitergeleitet werden können – sonst werden sie kaum wahrgenommen.“ Globo.com hat der Rückzug aus Facebook offenbar nicht geschadet „Die Nutzeranteile auf unseren Websites waren recht unterschiedlich“, so Correa Esteves. „In einem Fall bezogen wir fast 12 Prozent Traffic von Facebook. Das war die Website, bei der wir die Inhalte mit hohem Aufwand gezielt auf Facebook abgestimmt hatten. Hier ging die Anzahl der Besuche aus Facebook natürlich zurück. Doch insgesamt – gemessen an den Nielsen- und ComScore- Zahlen – hat sich nicht viel geändert. Und wir sind froh, dass wir bei 12 Prozent ausgestiegen sind und nicht bei 50 Prozent.“ Auf die Frage, was sie Verlagen empfehle, die sich mit Rückzugsgedanken tragen, erklärte Correa Esteves: „Man sollte die eigene Website und ihr Nutzeraufkommen genau analysieren. In unserem Fall zeigte sich, dass die gezielte Content-Nutzung mit Apps und auch die zufällige Nutzung von Inhalten zurückgingen. Für uns – in Brasilien – war die Entscheidung also richtig. In anderen Ländern mag das anders sein. Analysieren Sie daher alle Faktoren für Ihren jeweiligen Markt und prüfen Sie, ob dies auch für Sie in Frage kommt. Sinnvoll ist dabei sicherlich zu ermitteln, wie stark Sie von Facebook abhängig sind – zu 10, zu 50 oder zu 90 Prozent?“ www.worldnewspublishingfocus.org Mariana Correa Esteves, Leiterin für Produktentwicklung bei Globo.com (links) und ihr Kollege Leandro Gejfinbein, Leiter für Marktforschung und Analyse, während einer Präsentation beim International Newsroom Summit in Berlin. ein Portal- und Internet-Service-Anbieter unter dem


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