Wenn Sie den Übergang zu einem wahrhaft hybriden Digital-Print-Geschäft auf einer Skala von 1 bis 10, auf der 1 für wenig und 10 für weit fortgeschritten steht, einordnen müssten – wo befände sich Ihr Unternehmen und die Branche insgesamt? Döpfner: Ich würde mich an unserer prozentualen Gewinnverteilung orientieren, die zwischen 40 und 50 Prozent liegt. Da stehen wir meiner Ansicht nach als Unternehmen, was den Übergang betrifft … Wir müssen noch mehr tun als bisher. Siebenundvierzig Prozent unseres Gewinns stammen aus dem Digitalgeschäft. Miller: Unsere Leser stehen vielleicht bei 9 von 10 Punkten, wir selbst bei etwa 3 von 10. Es gibt also noch viel zu tun. Die Branche an sich steht vielleicht bei 2 von 10. Glauben Sie, dass sich der Einbruch in der Print- Werbung verlangsamen wird oder muss man damit rechnen, dass sich das Aufkommen an Print-Werbung in den nächsten fünf Jahren nochmals halbieren könnte? Wohin geht die Reise? Miller: Ich nehme gern die rubrizierten Anzeigen als Bezugspunkt. Da haben wir immer mit einem Boden gerechnet, aber der hat sich nie eingestellt. Also haben wir den Auto Trader auf ein rein digitales Modell umgestellt. Es ist nicht zu erkennen, ob und wann eine Talsohle erreicht ist. Ob der Exodus immer so weitergeht? Darauf weiß ich wirklich keine Antwort mehr. Döpfner: Der einzige anhaltende Trend besteht darin, dass das Anzeigengeschäft immer volatiler wird. Das macht es völlig unmöglich, Prognosen oder Pläne für die nächsten zwei Jahre zu erstellen oder die Geschwindigkeit des Rückgangs abzuschätzen … Ich sehe jedoch keinen Grund, warum der Rückgang plötzlich stoppen sollte, also muss man sich darauf vorbereiten. Wir selbst befinden uns in einer sehr guten Position, da wir praktisch keine Umsätze mehr mit rubrizierten Anzeigen im Print-Geschäft machen. Das waren traditionell ohnehin nur fünf bis sechs Prozent unseres Gesamtumsatzes. Daher sind wir so offensiv in die Online-Portale für Rubrikanzeigen eingestiegen, und heute sind sie ein wichtiger Teil unseres Geschäfts. Wichtiger finde ich jedoch, dass wir neu definieren, was wir den Kunden bieten. Und zwar keine Druckerzeugnisse – sondern eine Marke … die als traditionelle Tageszeitung, als Boulevardzeitung, auf einer Website, in Form einer Mobile App, einer Tablet-App oder vielleicht als Web-TV zu den Kunden kommt. Eine Marke mit verschiedensten Vertriebskanälen. Denn nur so kann man eine Wachstumsstory generieren, bei der Quantität und Qualität der Kunden zunehmen. Und die zu mehr Umsatz und Gewinn führt. Für Ihre Regionalzeitungen, für Die Welt und Bild haben Sie ein Konzept entwickelt, bei dem der Kunde einen von drei Preisen bezahlt und mehrere Dinge erhält. Welche Erkenntnisse über die Psychologie der Konsumenten haben Sie dabei gewonnen und wie entwickeln sich Ihre Bezahlinhalte? Döpfner: Das kann man noch nicht sagen, da wir erst einige Monate Erfahrung damit haben. Vor der Umstellung waren wir ziemlich besorgt, denn wir waren die einzigen, die so etwas versucht haben. Und wenn man die einzige Marke im Web ist, die Gebühren verlangt, kann es ganz schön hart werden … Heute stellt sich die Situation viel besser dar als erwartet. Die Welt hat 47 000 zahlende Abonnenten, die nur das digitale Angebot nutzen, plus 27 000 Multimedia Abonnenten, die Print und online gebucht haben, sowie einige Tausend, die von einem Autohersteller gesponsert werden, daher zählen wir sie nicht. Wenn wir nur die rund 50 000 Online-Abonnenten betrachten, so haben wir diese in nur sechs Monaten mit einem knappen Marketing-Budget generiert. Das sind rund 20 Prozent der Gesamtauflage der Zeitung, wobei wir dort 50 Jahre oder länger gebraucht haben, um diese Zahl aufzubauen. Das Überraschendste ist, dass die Reach-Zahl der Websites – die Uniques – entgegen unseren Erwartungen nicht nach unten gingen. Offenbar gibt es bei den Kunden ein Empfinden, dass etwas, das einen Preis hat, auch mehr wert ist und dass man es deswegen haben möchte. Anders kann ich mir – bei allem Vertrauen in die große Qualität unseres Journalismus – nicht erklären, warum die Reach-Zahlen stabil bleiben und warum so viele Menschen zahlungswillig sind, obwohl sie so viele kostenlose Alternativen haben. Es scheint also genügend Leute zu geben, die sagen „OK, das ist den Preis wert” – und das halte ich für sehr ermutigend. Es ist ein langfristiges Projekt und auch, wenn es nicht gelingen sollte, werden wir weiterhin aus unseren Fehlern lernen. Denn aus meiner Sicht ist es entscheidend, dass wir diese zwei Einnahmequellen haben, um den Journalismus auf eine solide wirtschaftliche Basis zu stellen und nicht von Beihilfen abhängig zu sein. Wie beurteilen Sie die Entwicklung von Paywalls für den Guardian und im Allgemeinen in den letzten zwei bis drei Jahren? Miller: Ich denke, das ist stark abhängig von der Position des Unternehmens … Der Guardian war einmal die zweitkleinste überregionale Zeitung Großbritanniens. Erst durch die Chance, die sich uns durch die Digitaltechnik geboten hat, sind wir zur international drittgrößten englischsprachigen Website aufgestiegen. Es wäre geradezu verrückt gewesen, wenn wir diese Chance nicht ergriffen hätten. Wir sind nicht gegen Paywalls. Natürlich müssen wir irgendwann mehr direkte Einnahmen von unseren Lesern erzielen. Im Moment ziehe ich es jedoch vor, die Reichweite auszubauen und die Einbeziehung internationaler Leser zu steigern. Darin sehe ich zurzeit größere Chancen als in der Verknappung unseres Angebots durch Bezahlschranken. Bringt Sie das auf einen Kurs, auf dem Sie – vielleicht bis 2015 – neue Wege finden, um Einnahmen von den Lesern zu erzielen? Miller: Ich würde sagen, dass wir bereits starke Lesereinnahmen erwirtschaften. Die Online-Werbung gibt es nur, weil wir Leser haben. Das sind zwar indirekte Einnahmen, aber es sind Lesereinnahmen und die Rubrikanzeigen, die wir haben, gehören auch zu den Lesereinnahmen des Guardian. Ich meine also, es gibt sie bereits. Thema Wochenendausgaben … Hat eine Sonntags- oder Wochenendzeitung nach Ihrer Ansicht eine längere Lebensdauer und lohnt es sich deshalb, an den Investitionen in diese Druckerzeugnisse festzuhalten? Wir sind nicht gegen Paywalls. Natürlich müssen wir irgendwann mehr direkte Einnahmen von unseren Lesern erzielen. Im Moment ziehe ich es jedoch vor, die Reichweite auszubauen und die Einbeziehung internationaler Leser zu steigern. Darin sehe ich zurzeit größere Chancen als in der Verknappung unseres Angebots durch Bezahlschranken. Andrew Miller, CEO, Guardian News and Media 13 www.worldnewspublishingfocus.org November /DeZember 2013 Im Fokus Andrew Miller, CEO, The Guardian Mathias Döpfner, CEO, Axel Springer Verlag Konzentrierte Zuhörer.
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